Ein kleiner Funke

Als würde die Zeit niemals vergehen, zogen sich die nächsten sieben Tage dahin wie eine verhaltene Sanduhr, deren Durchgang sich zu stark verengt und deren einzelne Sandkörner den Beobachter zum frustrierten Umherwandern aufforderten. Nach dem letzten Arzttermin war sie alles andere als geduldig und als sie dann nach einer Woche wieder im Wartezimmer saß wünschte sie sich plötzlich, die Sanduhr würde stehen bleiben.

Das Wartezimmer war immer noch steril und leer. Sie hatte Schwierigkeiten durch diese FFP2-Maske zu atmen und diesmal schien die Zeit einen grausamen Deal mit ihr gemacht zu haben. Letztes Mal, vor genau einer Woche, wartete sie knappe fünf Minuten. Doch diesmal schien die Zeit still zu stehen und sie saß immer noch hier, 30 Minuten, eine Stunde, anderthalb. Das Wartezimmer wurde zum Sinnbild der Woche und sie fragte sich, ob das Warten irgendwann mal ein Ende hat. Nicht nur hier im Wartezimmer, nein, überhaupt in diesem Leben.

Und dann überkam sie ein flüchtiger Gedanke. Haben wir verlernt zu warten? Dreht sich die Welt nicht trotzdem weiter und warum können wir nicht einfach mal „nichts“ machen. Ein „nichts“, das in Wirklichkeit nicht „nichts“ ist, denn wir bewegen uns trotzdem, in unseren Gedanken, in unseren Emotionen. Da drin ist so viel los, dass einem doch gar nicht langweilig werden kann. Wahrscheinlich haben wir aber nicht verlernt zu warten, sondern gelernt nicht auf unsere inneren Stimmen zu hören, weil wir Angst vor ihnen haben….

Das ganze Leben bestand doch schon aus Warten. Warten aufs Leben, warten aufs Sterben.

Mit diesem Gedanken rief sie die Ärztin nach insgesamt zwei Stunden zu sich ins Behandlungszimmer.

„Heute schauen wir nur einmal ganz kurz nach, ob alles in Ordnung ist.“

Ganz kurz. Auf dem Weg zum Stuhl fühlte sich dieses „ganz kurz“ wie eine Ewigkeit an und als die Ärztin den Ultraschall anlegte war da dieser kleine Moment, in dem sie den Atem anhalten musste.

„Schauen Sie mal, da ist das kleine Würmchen. Diesmal kann man es viel besser sehen und, da haben wir einen starken Herzschlag. So, das sind 13 mm. Absolut zeitgerecht für Anfang der 8. Schwangerschaftswoche. Wie schön, das wollte ich sehen.

Alles fiel von ihr ab, die Sorgen, die Zweifel und diese Ungeduld.

„Wir sehen uns dann in 4 Wochen wieder. Dann können wir auch gleich das Erstsemesterscreening machen.“

4 Wochen?! Bilder vom letzten Jahr kamen hoch, als sie in der Nacht vor der nächsten Kontrolluntersuchung starke Blutungen und Wehen bekam; und sich infolgedessen einer Not-OP im Krankenhaus unterziehen musste. Das Herz hatte mindestens zwei Wochen zuvor aufgehört zu schlagen. Nein, sie konnte nicht schon wieder 4 Wochen warten. Falls das Herzchen nicht mehr schlagen sollte dann möchte sie das bitte auch wie viele andere Frauen in der Praxis erfahren und nicht fast verbluten.

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich so lange warten möchte. Können wir den Folgetermin auch etwas eher machen? Beim letzten Mal waren es 4 Wochen, und….“

„Ok, dann machen wir 3 Wochen daraus. Dann sind Sie in der 11. SSW und dann können wir die erste Untersuchung machen. Aber bitte tun Sie mir einen Gefallen und kommen jetzt nicht jede Woche, weil Sie sich Sorgen machen.“

Das hatte sie auch nicht vor. Erleichtert packte sie ihre Sachen zusammen.

„Ich freue mich sehr für Sie und drücke Ihnen die Daumen, dass es diesmal klappt.“

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